Der Traum wird zum Albtraum

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23.05.2016 14:29 Uhr

Arnold Gjergjaj geht zum ersten Mal in seiner Karriere k. o. – und entschuldigt sich dafür

Von Andreas W. Schmid, Basler Zeitung, London, 23.05.2016

Der Albtraum für Arnold Gjergjaj dauerte Samstagnacht viereinhalb Minuten, dann wurde er durch den Abbruch des Ringrichters vom Schrecken erlöst. Zuvor hatte ihn David Haye, der Ex-Weltmeister, insgesamt viermal zu Boden geschickt. Der letzte Niederschlag bedeutete dann das vorzeitige Ende für die «Cobra». Es war der richtige Entscheid, dieses ungleiche Duell vorzeitig abzubrechen. Gjergjajs Trainer Angelo Gallina hielt das Handtuch bereits in der Hand, um es in die Ringmitte zu werfen und damit selber das Ende zu erzwingen, wenn es in diesem Stil weitergegangen wäre. Der bisherige Höhepunkt der achtjährigen Profikarriere des Schwergewichtsboxers aus Pratteln endete damit vor 16 000 Zuschauern in der O2-Arena in einem Fiasko.

Natürlich wird es nun wieder Stimmen geben, die sagen: Das war absolut klar, dass es so kommt. Doch so einfach war es nicht. Das hat weniger mit David Haye zu tun. Von ihm wusste man im Vorfeld, dass er in der Champions League des Boxsports mitspielt. Er war Weltmeister dreier Verbände im Cruisergewicht und im Schwergewicht drosch er zwölf Runden lang auf die 150-Kilogramm-Fleischmasse von Nikolai Walujew ein, der nachher so bedient war, dass er seine Karriere umgehend beendete. Haye kämpfte gegen Wladimir Klitschko und schlug Derek Chisora schwer k. o. Es war also klar, dass der Mann etwas draufhat.

Nur wenige Vergleichswerte

Nein, das Problem war, dass niemand – auch die Beteiligten selber nicht – richtig einschätzen konnten, ob Gjergjaj auf diesem Niveau mithalten kann. Er hatte bisher noch keinen Gegner, der auch nur annähernd Hayes Format erreichte. Weshalb, ist hinlänglich bekannt. Es fehlte das Geld für Rivalen der absoluten Extraklasse. Und so hatte man keine richtigen Vergleichswerte, mit Ausnahme jener Sparrings, die Gjergjaj gegen Boxer der absoluten Topliga wie Tyson Fury, Wladimir Klitschko, Kubrat Pulev oder Marco Huck bestritt, übrigens mit unterschiedlichem Erfolg: Während Fury ihm die Rippe brach, schlug sich Gjergjaj gegen die anderen genannten Boxer mehr als ordentlich, wie diese bestätigten.

Doch Sparring und ein richtiger Kampf sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Gegen Haye wurde rasch klar, dass dieser eine Nummer zu gross ist für Gjergjaj an diesem Abend. Nach bloss 36 Sekunden traf der Brite durch die Doppeldeckung seines Gegners hindurch diesen voll am Kinn. Gjergaj flog auf die Bretter, als wäre er von einem Schnellzug gerammt worden. Er erhob sich zwar wieder, was für sich schon sehr bemerkenswert ist nach solch einem harten Wirkungstreffer. Auch David Haye zeigte sich nachher erstaunt, dass es Gjergjaj wieder auf die Beine schaffte: «So manch anderer Boxer hätte sich nach diesem Punch für ein paar Minuten schlafen gelegt.»

Damit war der Kampf aber bereits gelaufen. Insgesamt dreimal versuchte Gjergjaj einen Schlag anzubringen, ein einziger, mit seiner rechten Schlaghand abgefeuert, fand den Weg ins Ziel. Es versteht sich von selbst, dass ein Kampf so nicht gewonnen werden kann. Gjergjaj wirkte blockiert und verschanzte sich hinter seiner Doppeldeckung, die den explosiven Schlägen des 101 Kilogramm schweren Haye aber nicht standzuhalten vermochte. Über die Taktik, mit welcher Gjergjaj in den Kampf gegangen war, mochte Angelo Gallina verständlicherweise nicht mehr gross reden: «Diese erübrigte sich nach dem ersten Niederschlag. Nach solch einem Wirkungstreffer geht es nur noch darum, es in die Pause zu schaffen.»

Haye nun gegen den Boxopa

Das gelang, viel zu retten gab es für Gallina allerdings nicht mehr. Gjergjaj war sichtbar angeschlagen und für seine Betreuer nicht mehr richtig zu erreichen. Als es weiterging, wurde er zuerst von einem linken Jab niedergestreckt, wenig später gab ihm eine wilde Schlagserie Hayes den Rest. Der Sieger war später sehr zufrieden «für die Zuschauer und mit der Show, die sie zu sehen bekamen».

Über Gjergjaj verlor er nur wenige Worte und wiederholte nochmals, dass er gegen einen grossen Boxer kämpfen wollte. Dann ging der Blick bereits in die Zukunft. Noch diese Woche will der Brite den nächsten Kampf im September fix machen. Sein Gegner wird Shannon Briggs sein. Der 44-jährige US-Amerikaner fand am Samstag doch noch einen Gegner: Es handelte sich um Emilio Ezequiel Zarate – für Gjergjaj ein alter Bekannter: Er besiegte den Argentinier 2014 im Grand Casino nach sieben Runden; Muskelberg Briggs schaffte es bereits im ersten Durchgang.

Gjergjajs intaktes Umfeld

Gjergjaj war nachher sichtbar bedient, versteckte sich aber nicht und beantwortete die Fragen mit seiner sanften, ruhigen Stimme. Er entschuldigte sich dafür, dass so viele seinetwegen nach London gekommen seien und er sie so schwer enttäuschen musste. «Es ist von Anfang an alles schiefgelaufen. Aber das Leben geht weiter.»
Das ist gut so. Man muss keine Angst haben um Arnold Gjergjaj. Ihm droht keine Lebenskrise wie Briggs, der nach seiner Niederlage gegen Klitschko an Depressionen litt. Gergjaj lebt in einem gefestigten Umfeld, mit einer Familie und Freunden, die auch in schwierigen Momenten zu ihm halten.


Kommentar

Von Andreas W. Schmid, Basler Zeitung

Das Drama der «Cobra»

Es war brutal anzusehen, wie Arnold Gjergjaj von David Haye verprügelt wurde. Der Traum der «Cobra», eines Tages Weltmeister eines grossen Verbandes zu werden, ist jäh geplatzt. Da muss man realistisch sein. Man könnte zwar einwenden, dass grosse Namen wie Wladimir Klitschko und Lennox Lewis dasselbe erlebten und ebenfalls bereits in der zweiten Runde besiegt wurden. Und dass sie sich später trotzdem den WM-Gürtel umschnallen durften. Nur: Klitschko und Lewis waren erst 26 respektive 19 Jahre alt und hatten damit ganz andere Perspektiven. Gjergjaj hingegen ist 31. Er hat zwar einen weltmeisterlichen Dampf¬hammer, aber das alleine reicht nicht für die Weltspitze.
Der leider verstorbene Fritz Sdunek, der früher die Klitschkos betreute, sagte vor zwei Jahren nach ein paar Tagen Training mit Gjergjaj , dass er ihn nicht ganz oben sieht. Aber zum Europameister könne er es bringen, jedoch nur, wenn alles passe.

Ob diese Aussicht Gjergjaj reicht, um weiterzumachen, wird man sehen. Acht Jahre hat er, aber auch sein ¬Trainer und Promoter Angelo Gallina viel für ihren Traum geopfert, mit schmalem Budget gelebt und oft um Anerkennung gekämpft. Einfacher wird es nach dieser brutalen Niederlage sicher nicht, eher noch schwerer. Ein nächster Kampf würde wieder auf der kleinen Bühne stattfinden, in der Kaserne oder im Grand Casino, mit einem Boxer, den der Promoter in mühevoller Arbeit irgendwo in Südamerika oder Ost¬europa auftreiben und dann selber bezahlen müsste. Das sind keine verlockenden Aussichten.

Arnold Gjergjaj und Angelo Gallina wollen nun erst mal das Erlebte verarbeiten und analysieren, weshalb es zu diesem traumatischen Ende kam, bevor sie sich entschieden, wie und ob es weitergeht. Die Zeit muss man ihnen geben.

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