Der Selfmade-Boxer

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04.02.2019 19:05 Uhr

Ando Hakob freut sich. Im Ring ist er ein furchteinflössender Boxer. Doch jetzt strahlen seine dunklen Augen. Sie haben vieles gesehen: Armut, Gewalt, Ablehnung. Das Leben machte ihn zum Kämpfer auf der Strasse, der Boxsport zu einem besseren Menschen. Gerade wirkt er nur zufrieden.

Zweites UG der Trafo-Halle in Baden. Ando ­Hakob zieht an der Metalltür und führt durch sein neues Gym. «Das alles ist mit null Rappen aufgebaut», sagt er. Laufbänder, ein Crosstrainer, ein Tablet, Sandsäcke, der Bodenbelag. Sogar ein fabrikneuer Ring. Alles gespendet. «Krass, oder?» Der rötliche Bart schimmert im Licht der Neonröhren. Dann schaut er aufs Shirt, zupft mit Daumen und Zeigefinger daran. Eine renommierte Marke hat es gesponsert, auch wenn sie keine Kampfdisziplinen unterstützt. Ebenso die Hose. «Sogar die Schuhe», sagt er und zeigt auf die Füsse.

Was sind schon geschenkte Schuhe für einen Profisportler?

Putzkraft und Security

Für einen Boxer in der Schweiz sind sie aussergewöhnlich – selbst wenn er wie Ando Hakob Landesmeister im Superleichtgewicht ist und weltweit zu den besten 200 seiner Klasse zählt. Wer sich hier in dieser anrüchigen Disziplin bewegt, dem wird kaum etwas geschenkt. Boxer kämpfen unter der Aufmerksamkeitsschwelle. Und leben sparsam. Ando Hakob, 29-jährig, hat einen KV-Abschluss und könnte sich ein einfacheres Leben machen. Aber er setzt aufs Boxen, verdient das Nötigste, indem er in einer Kita putzt oder für eine Sicherheitsfirma patrouilliert. Ein geschenktes Outfit? Alles andere als selbstverständlich.

Nicht nur für den Sportler, auch für den Menschen Ando Hakob sind diese Gaben ein persönlicher Sieg – für ihn, der als Flüchtling aus Armenien in die Schweiz kam. Es gab Zeiten, in denen er sich für ein Paar Schuhe fast strafbar gemacht hätte. Mitschüler hänselten ihn, weil er ausgetretene Latschen trug. Er hatte sie im Asylheim bekommen. Sie waren drei Nummern zu gross. «Deshalb klaute ich Pfandflaschen und kratzte 49 Franken für ein neues Paar zusammen», erzählt er.

Eigentlich heisst er Andranik Hakobian. Den kürzeren Namen hat er sich für die Karriere als Boxer verpasst. Neunjährig war er, als die hungernde Familie in ein besseres Leben aufbrach und vorerst durch Europa irrte. Sie überquerten nachts einen gefrorenen Fluss, sprangen aus dem Fenster, um der Polizei zu entkommen, lebten mit Schimmel und Kakerlaken. Weissrussland, Polen, Deutschland, Frankreich, Spanien. Nach drei Jahren gelangten sie über Genf in den Aargau.

Am Ziel war die Familie noch nicht. Der Vater griff die Mutter mit einem Messer an. Er wurde ausgewiesen, Frau und Kinder durften bleiben. «Es waren Scheisszeiten», sagt Ando Hakob. Auch ausser Haus war vieles schwierig. Er wollte Respekt und forderte ihn mit Fäusten ein. Doch genau die Fäuste sollten ihn später beruhigen.

Nach dem ersten Boxtraining wusste er, was er wollte. Er schindete sich fortan «für jeden Amateurkampf, als ginge es um die Weltmeisterschaft», wie er sagt. Inzwischen hat er über siebzig Amateur- und fünfzehn Profikämpfe bestritten. Seine Geschmeidigkeit gewinnt er aus einem harten Training, das er mit unkonventionellen Methoden ergänzt. «Wenn ich wie alle anderen bloss auf den Sandsack haue, dann bin ich nur Durchschnitt», sagt er. Deshalb trainiert er mit Tennisbällen, tanzt Ballett und Cha-Cha-Cha oder praktiziert Yoga. Er ist sein eigener Trainer.

Umstrittener Showman

Das macht seinen Stil eigenständig. Ando Hakob denkt gross, wie in der Boxnation USA, wo Show und Provokation zum Boxgeschäft gehören. Er gerät damit aber in Konflikt mit der beschaulichen Schweizer Szene, mit einer Kultur, die sich nicht aus Sensationen nährt. Einmal hat er dem Gegner auf den Kopf getätschelt, ein anderes Mal verschränkte er die Arme hinter dem Rücken und forderte den Gegner zum Schlagen auf. Seine grosse Fangemeinde auf Social Media mag das cool finden, von Kampfrichtern gibt es dafür Strafen. So wurde auch schon ein Kampf als unentschieden gewertet, den er eigentlich gewonnen hätte. Er hat daraus gelernt und sich angepasst, in seinem letzten Kampf ganz auf Mätzchen verzichtet. Er gewann ihn durch Knock-out.

An seinem Ehrgeiz ändert das aber wenig. «Wir haben in der Schweiz noch keinen Weltmeister, weil wir zu bescheiden sind», sagt Ando Hakob. Mit Bescheidenheit sei in seinem Sport wenig möglich. Das betrifft auch das Finanzielle. Wer an die Spitze will, muss gegen gute Boxer kämpfen. Und ihre Gagen kosten. Auch um die Einkünfte kümmert er sich ­selber. Ando Hakob ist ein Selfmade-Boxer. Er ist auch sein eigener Promoter und weiss, wie Net­working geht. Im Januar sass er etwa am WEF in Davos zwischen reichen Geschäftsmännern am Bankett des armenischen Premierministers Nikol Paschinjan. Seine Tage dauern oft bis 3 Uhr nachts, wenn er unzählige E-Mails an mögliche Geldgeber tippt, Bittschreiben für seine Leidenschaft. Von ­hundert sage einer zu.

Über dem Ring steht heute der Schriftzug eines der wichtigsten Bauunternehmer der Region. Der Denner-Erbe Cédric Schweri unterstützt ihn, auch der Swiss Sportscircle, eine Stiftung, für die sich der ehemalige Fussballer David Degen engagiert. Im vergangenen Herbst hat Ando Hakob ein Crowdfunding lanciert und die gewünschten 20 000 Franken übertroffen. Damit ist die Gym-Miete auf ein Jahr hinaus gesichert. Wenn er an seine Karriere denke, sage er sich manchmal: «Du hast zu wenig erreicht, Ando.» Aber auf das hier sei er stolz. Er schaut um sich.

In seinem Gym schliesst sich ein Kreis. Es ist nicht nur sein Camp als Profi, nicht nur eine ­Geldquelle als Coach. Hier trainiert der einstige Asylsuchende seit vier Monaten Flüchtlinge gratis. Er sagt, was wie eine Notwendigkeit klingt: «Ich muss Flüchtlinge unterstützen.» Er selbst habe seine Chance genutzt, nun will er anderen eine ­bieten. Damit sie nicht nur am Bahnhof herum­stehen, als warteten sie auf einen Zug, in den sie nie einsteigen.

Mit diesem Engagement möchte er auch jene überzeugen, die befürchten, dass Boxen Gewalt im Alltag fördere. Ihnen entgegnet Ando Hakob: «Nach dem Training ist man so müde und glücklich, dass man keine Sekunde daran denkt, sich auf der Strasse zu prügeln.» Seine Geschichte beweist.

Neue Zürcher Zeitung vom 01.02.2019

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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